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Die Artischocke – Diätetikum und Phytotherapeutikum

„Diese Distel, lass sie gelten,
ich vermag sie nicht zu schelten –
die, was uns am besten schmeckt,
in dem Busen tief versteckt.“
Johann Wolfgang Goethe

Die Geschichte eines „Feingemüses“

Die Artischocke (Cynara scolymus), bekannt als „Feingemüse aus dem Mittelmeergebiet“, hat ihren Ursprung wahrscheinlich in Äthiopien. Schon 500 Jahre vor Christi Geburt von den Ägyptern kultiviert, kam sie nach Rom und Vorderasien. In den mitteleuropäischen Fürstenhäusern wurde man erst im 15. Jahrhundert auf dieses Gemüse aufmerksam, baute es in den herrschaftlichen Gärten an und der Genuss galt als Zeichen der „feinen Lebensart“. Da man an eine erotisierende Wirkung der Artischocke glaubte, durften die Töchter „aus gutem Haus“ nicht davon essen.

Lonicerus (16./17. Jahrhundert) schreibt unter „Welsch Distel“ oder „Artischoca“, dass (die Einheimischen) „die Knöpff von diesen Disteln…zur Speiß fleißig…gebrauchen / in Wasser gesotten / und mit Baumöl und Pfeffer zubereitet / die Ehelichen Werck darmit zu reizen und zu befürdern. Solches ist der fürnemste Gebrauch dieser Distel.“

Die Artischocke wurde zur Königin der Gemüse, selbst Goethe erwähnte sie literarisch. In den ersten Kräuterbüchern wird sie als Mittel gegen übermäßigen Achselschweiß und als Aphrodisiakum hoch gelobt. So sollten angeblich Eheleute, welche die Artischocke häufig verwenden, nur Knaben zeugen.

Botanischer und wissenschaftlicher Bogen

Cynara scolymus, die Artischocke, Kugelartischocke, Erddorn, Erdschocke oder Erddistel, gehört zur Familie der Korbblütengewächse (Asteraceae). Sie ist mehrjährig, in der Kulturform jedoch meist zweijährig im südlichen Europa angebaut, mit einer Höhe von bis zu zwei Metern. Als Tiefenwurzler braucht sie nährstoffreichen, tiefgründigen Boden und die volle Sonne. Die Artischocke blüht von Juni bis September und die Erntezeit, je nach Pflanzenanteil, ist vom Sommer bis in den Herbst. Die verwendeten
Teile sind die frische Pflanze, die Blattrosettenblätter sowie die Wurzel.

Der Artischockenboden als Gemüse sollte immer frisch gegessen werden, ist allerdings bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit (über 95%) und dunkel aufbewahrt bis zu zwei Monaten lagerbar. Gekochte Artischocken verderben ausgesprochen leicht, oft schon innerhalb nur eines Tages und produzieren dann toxische Stoffe.

Die Inhaltstoffe sind vor allem Bitterstoffe (Sesquiterpenlactone). Des Weiteren Schleimstoffe, Gerbstoffe, Flavonoide, Cynarin, Karotin, Folsäure, Vitamin C und E, Inulin sowie Mineralstoffe vor allem Natriumverbindungen.

Der Gesamtkomplex der Inhaltstoffe, wie eigentlich immer in der Phytotherapie, ergibt die Wirkung. Bringt man eine Hierarchie in die chemischen Verbindungen, dann sind vor allem die Kaffeesäurederivate Cynarin und Chlorsäure zu nennen, die Sesquiterpenlactone sowie die Flavonoid.

Bei der näheren Definition wird den Indikationen schon vorgegriffen. Die Caffeoylchinasäuren verbessern die Fettverdauung, steigern die Galleproduktion sowie eine verbesserte Abgabe in den Dünndarm. Bitterstoffe reizen unter anderem den Vagus, was zu einer höheren Magensäureproduktion und dadurch zur Förderung der Eiweißverdauung führt. Die Flavonoide sind leberzellschützend und
wirken so indirekt auf eine Erhöhung der Galleproduktion mit einer verbesserten körpereigenen Fettverdauung.

Die Kommission E definiert die Artischockenwirkung mit Leberschutz, sowie einer positiven Wirkung auf die Cholesterin- und Lipidwerte. Die naturheilkundlichen Anwendungsmöglichkeiten aus der Sicht der Erfahrensmedizin sind allerdings breitbandiger.

Cardy, Kardy (Cynara cardunculus)

Kardy wird in der Schweiz und Nordamerika angebaut und könnte die Wildform der Artischocke sein, was allerdings von manchen Botanikern bezweifelt wird. Sie ist frosthärter als ihre große Schwester. Kardysamen werden in der Ziegenkäse Herstellung zur Fermentierung gebraucht, die Blattstiele als Salat oder Gemüse verwendet.

Die Artischocke in der Humoralpathologie

Die Humoralpathologie ordnet den vier Elementen unserer westlichen Elementelehre vier Grundqualitäten paarweise zu. Damit sind die Elemente gedanklich klar voneinander unterscheidbar. So ist die Gelbgalle mit ihren Qualitäten warm und trocken dem Element Feuer zugeordnet.

Die Artischocke wird humorapathologisch als „warm und trocken im 2. Grad“ definiert. Somit ist sie der „gelben Galle“ wie auf den Leib geschnitten. Galen unterschied weiterhin in Graden, eingeteilt in 1. bis 4., was einen Hinweis auf die Wirkintensität zulässt. So hat warm im 1. Grad auf den Körper einen kaum wahrnehmenbaren Einfluss, warm in 2. Grad einen wahrnehmbaren, warm im 3. Grad einen kräftig wirkenden und im 4. Grad einen schädigenden Einfluss. Damit liegt die Artischocke mit „warm und trocken im 2. Grad“ in einem therapeutisch mild fördernden Bereich.

Die Darstellung der Humoralpathologie ist hier äußerst vereinfacht! Sie ist weitaus differenzierter ausleg- und einsetzbar, gehört zu unseren Grundgesetzen der Naturheilkunde und hat, trotz wissenschaftlicher Anfeindung, als Denkmodell einen festen Stellenwert in Diagnose und Therapie.

Indikationen

Die Artischocke findet Anwendung bei dyspeptischen Beschwerden. Sie ist ein Cholagogum, fördert den Leberstoffwechsel und regeneriert die Leberzelle. Hier sollte auch in Kombination an den Löwenzahn (Taraxacum officinale), die Mariendistel (Carduus marianus) und das  Schöllkraut (Chelidonium majus), letzteres momentan in Tiefpotenzen, gedacht werden. Der Patient nach einer Gallenblasen Operation ist zur Förderung der Galle unter anderem mit der Artischocke zu unterstützt.

Die leberentgiftende und kräftigende Wirkung der Artischocke kann, in der Kombination mit ihren durchblutungsfördernden Mechanismen, eine Erklärung dafür sein, dass sie als Aphrodisiakum gelobt wurde und wird. Der müde und abgeschlagene Patient zeigt sich durch Leberentgiftungsmittel agiler und energiereicher, was dann, in der Kombination mit einer Mehrdurchblutung, auf allen Ebenen der Aktivitäten spürbar ist. Hier kommt wieder das alte Sprichwort der TCM zur Geltung: Müdigkeit ist der Schmerz der Leber. Des Weiteren wirkt eine Leberentgiftung immer aufhellend und somit antimelancholisch; der Kopf wird für andere Gedanken frei. Unser Sprichwort: Dem ist die Laus über die Leber gelaufen, sagt dies auch aus. Die Bitterstoffe sind außerdem drüsenstimmulierend.

Artischocke wirkt gegen Übelkeit unklarer Genese, Völlegefühl und Blähungen. Neben den Carminativa wie Fenchel (Foeniculum vulgare), Anis (Pimpinella anisum) und Kümmel (Carum carvi) kommt auch die Cynara scolymus beim Roemheld Syndrom zum Einsatz.

Durch die allgemeine Stoffwechselanregung kann die Pflanze auch bei der Obstipation angewendet werden, ebenso zu einer Verstärkung der Diurese. Somit werden auch die klassischen Ausscheidungsorgane angeregt. Hier spielt eine genügende Flüssigkeitszufuhr eine
entscheidende Rolle.

Die Artischocke entsäuert und ist somit bei erhöhten Harnstoffwerten und sonstigen diagnostischen Übersäuerungszeichen einsetzbar. Auch hier ist eine Kombination mit Basenpräparaten oder
Phytotherapeutika angeraten:

Rp.

Foeniculi sem. (Fenchel) 50.0
Verbasci flos. (Königskerzenblüten) 50.0

M.f.spec. Ds

  • 2 Tl. auf 1 Tasse Aufguss, 10 Min. ziehen lassen6 Tassen tgl.

Der bekannteste und auch schon angesprochene Wirkbereich der Artischocke ist ihre blutfettsenkende Eigenschaft. Der Cholesterinund Triglyceridwert wird gesenkt und das Verhältnis von LDL zu HDL verbessert. Hier sollte parallel diätetisch auch an die Dinkelkleie gedacht werde. Im Reformhaus zu bekommen, sollten dreimal täglich 1 Tl. Dinkelkleie in Biogurt gerührt und gegessen werden. Natürlich sind auch diätetische Maßnahmen in Betracht zu ziehen, dies versteht sich selbst, obwohl statistisch nur 40% der Fettstoffwechselentgleisungen rein von der Zufuhr abhängig sind.Die angegebene Teemischung ist nicht im unteren finanziellen Bereich der Teedrogen angesiedelt, da die Blüten der Königskerze relativ teuer sind. Bitte bei der Zubereitung tief mit dem Löffel durchgreifen, da die festen Samen des Fenchels durch die tuffigen Blütenanteile durchfallen und auf dem Packungsboden liegen.

Bitterstoffe wirken tonisierend auf den menschlichen Organismus und sind somit breitbandig einsetzbar. In der diätetischen Anwendung der Artischocke sollten die Blätter und Stängel immer mit gegart werden. Das Wasser kann über den Tag verteilt getrunken werden, es enthält fast dreimal soviel therapeutisch nutzbare Inhaltsstoffe, wie der Boden.

Des Weiteren sind Bitterstoffdrogen sehr gut gegen Darmparasiten anzuwenden. So kommt auch der Cynara scolymus eine wurmausscheidende Wirkweise zu. Sicherlich schafft sie dies nicht allein, aber in Kombination mit anderen Bitterstoff- und Senfölglycosiddrogen oder ätherischen Ölen, wie Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) für die erst genannte und Knoblauch (Allium sativum), immerhin warm und trocken im 4. Grad, für die letzt genannte Wirkstoffgruppe, können Dickdarmparasiten therapeutisch angegangen werden.

Die Artischocke ist ein Einschleuser von Natriumverbindungen und somit in der Substitution in Kombination mit der Schüßler’schen Biochemie, besonders Nr. 8 (Natrium chloratum), Nr. 9 (Natrium phosphoricum) und Nr. 10 (Natrium sulfuricum) verwendbar. Wir müssen von dem Gedanken weg kommen, dass alle Natriumverbindungen für den Organismus des Industriegesellschaftsmenschen negativ sind. Außerdem ist jede Pflanze, somit auch die Artischocke, ein chemisches Multigemisch; dies gilt auch für die unterschiedlichen Mineralien in ihr. Es ist keine Monosubstanzzufuhr. Artischocke kann in einen „Schüßler Tee“ in Kombination mit dem passenden, aufpotenzierten Biochemiemittel
Einsatz finden.

Im Bereich der Arterioskleroseprophylaxe findet diese Pflanze, unter anderem in Kombination mit dem Bärlauch (Allium ursinum) ihre Berechtigung. Weiterhin hat die Artischocke antioxidative Wirkweisen und wird in der Erfahrensmedizin auch bei einem beginnenden Diabetes eingesetzt.

Bitte beachten

Da Cynara scolymus zu den Korbblütlern gehört, sind allergische Reaktionen bei sensibilisierten Personen auf Asteraceae nicht ausgeschlossen. Bekannt geworden sind allerdings nur Reaktionen nach Hautkontakt mit der frischen Pflanze, nicht nach oraler Einnahme von Extrakten.

Es liegt auf der Hand, dass bei Verschluss der Gallenwege eine gesteigerte Cholerese kontraindiziert ist.
Die Nebenwirkungen sind mit selten, mild und vorübergehend beschrieben (Pittler 2009).

Das Wesen der Pflanze

Im Bereich der Signatur beschreibt Dr. Roger Kalbermatten die Artischocke zwischen den beiden Polen „Selbstbeschränkung und Ausschweifung“:

„Das Wesen der Artischocke äußert sich in völlig gegensätzlichen
Tendenzen. Einerseits bringt die Pflanze Üppigkeit und Fülle hervor, andererseits enthält sie ein Prinzip, das dieser Üppigkeit entgegen wirkt.

In der Artischocke kommt das Gleichgewicht zwischen Ausschweifung und Selbstbeschränkung zum Ausdruck. Das Wesen der Pflanze unterstützt den Menschen im Bestreben, einen Ausgleich zwischen Maßlosigkeit und Verzicht zu finden. In der Annäherung an dieses Gleichgewicht können die Gedanken etwas von ihrer Schwere und Erdgerichtetheit verlieren und auf Höheres gerichtet werden…“

Eine kleine Geschichte aus der Artischockenverarbeitung der Firma CERES in der Schweiz zeigt auch einen Aspekt der Signatur. Bei der Pflanzenzerkleinerung blieb irgendwann die Schnittmaschine kreischend stehen – sie war in ihren Lagerungen völlig entfettet! Die Artischocke scheint auf allen Ebenen eine Affinität zu Fetten aufzuweisen.

Wie kommt die frische Pflanze in die Schachtel?

Bei vielen Präparationen fragt man sich durch die unterschiedlichen Verarbeitungsschritte, was denn noch im Fertigprodukt vom Ausgangsmaterial übrig ist. Dies ist nicht nur im chemisch definierbaren Bereich gedacht, sondern auch im sonstigen Wirkspektrum der Frischpflanze. Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein phytotherapeutisches Präparat umso aktiver und wirkungsvoller ist, wenn es aus frischen Pflanzenbestandteilen hergestellt wurde. So sind Verfahren, wo die Artischockenblätter nicht erst getrocknet, gelagert und zerkleinert, sondern frisch vom Acker umgehend weiterverarbeitet werden, am ehesten der Ursubstanz zuzuordnen.

Dies setzt eine Ernte zum optimalen Zeitpunkt mit taggleicher Weiterverarbeitung durch Extraktion mit Wasser voraus. Diesem Frischfluidextrakt wird bis zur völligen Trocknung das Wasser entzogen und der so gewonnene Gesamtkomplex zur Darreichungsform weiterverarbeitet. Diesen Frischpflanzen Extrakt, „cs 16“ benannt, finden wir in der Artischockenpräparation der Firma QUIRIS.

Rp.

Hepacyn (QUIRIS) CXX
2 x 2 Tbl. tgl. zu den Mahlzeiten

Die frischen oder getrockneten Laubblätter der Artischocke können auch als Tee verabreicht werden, die mittlere Tagesdosis liegt bei 6 Gramm Droge.

Artischocken sind mehr als ein Gemüse – denn sie haben ein Herz.

Literatur

  • Bernhard Kranzenberger / Stefan Mair:  Pflanzenmonographien (Foitzick Verlag, 2000)
  • Mannfried Pahlow: Heilpflanzen (Gräfe & Unzer)
  • Siegrid Hirsch /Felix Grünberger: Die Kräuter in meinem Garten (Weltbild, 2007)
  • Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung (HAUG, 1977)
  • Roger Kalbermatten: Kompendium der CERES- Heilmittel (CERES Heilmittel AG, 2002)
  • Ernst Schneider: Frischpflanzen- Artischocke Praxis Magazin, 9/2009

Verfasser

  • Peter Germann
  • Gesundheitshaus Viriditas / Phytaro Heilpflanzenschule Dortmund
  • Im Karrenberg 56
  • 44329 Dortmund
  • www.phytaro.de

 

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