Die Frau im Klimakterium ist in der Naturheilkundepraxis keine Patientin, sondern eine Klientin. Es handelt sich bei diesem Vorgang nicht um ein Krankheitsgeschehen, sondern um einen physiologischen Prozess. Der kann allerdings positiv unterstützt werden.
In dieser Übergangsphase von der Geschlechtsreife zum Semium stellen die weiblichen Keimdrüsen ihre Funktion langsam ein. Für unserer mitteleuropäische ethnische Gruppe ist diese Zeit um das fünfzigste Lebensjahr. Die alte chinesische Heilkunde beschreibt die Änderungen im weiblichen Körper in siebener Jahresschritten. Im Alter von sieben mal sieben Jahren tritt das Klimakterium ein. Die Schritte des männlichen Organismus vollziehen sich in achter Jahresschritten – im Alter von acht mal acht Jahren haben wir die Keimdrüsenfunktionsänderungen beim Mann.
Bei einem Drittel aller Frauen sind die Wechseljahre mit Beschwerden, den klimakterischen Ausfallserscheinungen, verbunden. Diese sind unter anderem vegetative Symptome wie Hitzewallungen unklarer Genese, psychische Störungen mit depressiven Verstimmungen und erhöhter Reizbarkeit sowie metabolische Dysfunktion. Hier ist vor allem die Neigung zur Osteoporose zu nennen.
Auch ist häufig ein Nachlassen des Sexualinteresses zu verzeichnen, nicht zuletzt auch durch das Trockenerwerden der Schleimhäute, was beim Geschlechtsverkehr zu Schmerzen und somit zur Unlust führt. An den vorhin aus der chinesischen Heilkunde aufgeführten Jahresschritten von Mann und Frau erkennt man auch die kalendarisch unterschiedlichen Insuffizienzphasen; somit kann es in der Partnerschaft zu erheblichen Problemen kommen. Beide Partner müssen sich auf eine „neu empfundene Sexualität“ einstellen.
Sexualität ist ein uraltes Grundthema der Menschheit. Über Höhlenmalereien und Figurenbildungen aus prähistorischer Zeit, Darstellungen an Tempeln in Indien, Vasenmalereien der griechischen Ära, Mosaiken aus Pompeji, teilweise verstecktere Darstellungen des Mittelalters und freizügigeren Stichen und Radierungen der Neuzeit bis hin zum heutigen Tag, wo die Konterfeiung durch Foto und Film eine neue Dimension angenommen hat.
Im Hochmittelalter stellte Hildegard von Bingen (1098 – 1179 ) in ihren beiden medizinischen Hauptwerken „Physica“ und “ Causae et curae“ die Sexualität von Mann und Frau in einer Weise dar, die den Rahmen der damaligen Geschlechterlehre sprengte:
„Wenn sich eine Frau im Geschlechtsverkehr mit einem Manne befindet, kündigt ein Hitzegefühl, das die Empfindung der geschlechtlichen Lust mit sich führt, in ihrem Gehirn sowohl den Genus dieser Lustempfindung bei der geschlechtlichen Vereinigung an als auch die Ergießung des Samens.“
Hildegard beschreibt weiterhin die merkwürdig unbestimmbare Einheit von Lust und Schmerz der sinnlichen Liebe, ohne diese zu dämonisieren. Bemerkenswert ist es, dass sie für die Darstellung ihrer Rezepturen sehr viel Platz in ihren Schriften aufwendet und diese differenziert aufführt. So schreibt sie in ihrer „Odermennig-Rezeptur“, dem Purgiermittel sämtlicher Schleimhäute:
„(Er soll) Odermennig und zweimal soviel Bockshornklee nehmen und in einem Mörser zerstoßen, den Saft ausdrücken und ferner Storchen-schnabelkraut zerstoßen und von seinem Saft soviel dem des Odermennigs und des Bockshornklees hinzufügen, wie ein Obulus wiegt. Hierauf nehme er Galgant,…Storax … und Edelsüß …, stoße diese zu Pulver … und forme daraus Pillen von der Größe einer Bohne. Dann presse er Schöllkraut den Saft aus … ,tauche in diesen unter Umwenden eine Pille ein und lege sie an die Sonne … Denn die Wärme des Odermennigs und die Wärme des Galgants, die Kraft des Storax, die Wärme des Edelsüß und die des Schöllkrauts überwinden die kalte Säfte … und die Kälte des Bockshornklees und des Storchenschnabels treibt die Kräfte jener Säfte auseinander. Das Schöllkraut aber macht die Säfte im Menschen überfließen … so das sie leicht aus dem Menschen austreten können.“
Differenzierter ist eine Rezeptangabe nicht machbar! Diese „Odermennigtabletten cp.“ nach Hildegard von Bingen sind nicht nur zur Schleimreinigung von Nasen- und Rachenraum anwendbar, sondern haben einenanregenden Aspekt auf alle menschlichen Schleimhäute. Auch die Einnahme dieser Mischung ist nicht alltäglich : Es werden 8 Kautabletten morgens in der Bettwärme eingenommen, danach sollte noch einige Zeit im Bett verweilt werden. Dies wird an den darauffolgenden Tagen wiederholt. Viele in der Praxis bewährten Hildegard-Rezepturen sind aus rein wissenschaftlicher Sicht häufig unergiebig. Hier spielen eindeutig alchemistische Prinzipien eine Rolle. Ich möchte behaupten, das Hildegard von Bingen weit vor Paracelsus spagyrische Grundprinzipien angewendet hat.
Die Spagyrik beruht auf der Grundlage, möglichst viel der pflanzlichen Gesamtinformation in einer Präparation zusammenzufassen.
Daher ist es wichtig, sich klar zu machen: Was hat die Pflanze alles an Bord
Grob kann man sie in zwei Hälften teilen, in den informativen Anteil und in die Wirkungsweisen der Inhaltstoffe. Die Inhaltstoffe setzten sich aus den schon
nachgewiesenen oder auch noch nicht bekannten chemischen Verbindungen zusammen, welche in der Kombination mit Coeffektoren und Precrussoren auftreten. Dies sind Stoffe, welche häufig erst in der Weiterverarbeitung aktiviert werden und Wirkstoffe hemmen oder forcieren oder die Resorption und Bioverfügbarkeit im menschlichen Körper anregen können. Auch die ätherischen Öle gehören in ihrer manifesten Form zu dieser Kategorie der Grobstofflichkeit. Häufig sind sie auf Grund ihrer hohen Konzentration nach der Destillation in der oralen Einnahme hoch toxisch. Verdampft man diese Öle, gehen sie in den feinstofflichen, informativen Bereich über. Weitere Informationen sind in der Pflanze latent vorhanden. Das heißt, man muss sie mit geeigneten Verfahren lösen und anbinden. Dies macht beispielsweise die Homöopathie durch schrittweises Verdünnen und Verschütteln. Das so all seinen Inhaltsstoffen und Informationen beraubte Pflanzengerüst kann weiterhin verascht werden, um an die Mineralien zu gelangen, welche dem Medikament beigefügt werden können.
Ich habe in meiner Praxis die Erfahrung gemacht, das solche schon durch die Pflanze bioverfügbar gemachten Mineralstoffe auch vom menschlichen Körper weit aus besser aufgenommen werden können als andere anorganischen Salze. Scheinbar hat die Pflanze mit ihrer Aufnahme dies schon für uns prozentual erledigt.
Die Spagyrik ist ein Verfahren, welches einen Synergismus zwischen den informativen Anteilen und den Inhaltstoffen herstellt. Sie ist mehr als Phytotherapie und Homöopathie. Auch wenn Verbindungen zu beiden Verfahren bestehen, ist die Spagyrik etwas Eigenständiges. Sie fügt einen spezifischen Aspekt in die Therapien, der da lautet :
Verändertes kann durch Verändertes geheilt werden
Die Spagyrik ist eine alchemistische Technik, welche mittels Trennung und Vereinigung arzneiliche Substanzen aufbereitet. Das Wort setzt sich aus den griechischen Begriffen „spao“, was mit „trennen, lösen, scheiden“ übersetzt werden kann und „ageiro“, gleich „binden, vereinen“ zusammen. Durch Scheidung und Trennung der Ausgangssubstanz wird zunächst das Wertvolle vom Nutzlosen geschieden. In einer Art Neukomposition werden die aufgeschlossenen Bestandteile wieder vereint. Das so hergestellte spagyrische Mittel enthält die heilkräftigen Substanzen in veredelter Form und ist somit therapeutisch effektiver als das Ausgangsmaterial. Der Begriff „Alchemie“, zu der die Spagyrik gehört, stammt ab vom arabischen Wort „alkimiya“. Es benennt die Chemie in einer Zusammenfassung verschiedenster wissenschaftlicher, technischer, philosophischer und religiöser Aspekte.
Neben den schon aufgeführten Punkten benutze ich die spagyrischen Präparate gerne als „Einschleuser“. Es hat sich herausgestellt, das der Grundgedanke von Dr. Wilhelm Schüssler nicht nur auf Mineralsalze umzulegen ist, sondern auf jede andere Substanz auch. So kann beispielsweise eine Weißdornsubstition in der Begleitung einer Crataegushomöopatisierung besser bioverfügbar gemacht werden. Das geht nicht nur, wie gerade angeführt, nach dem isopathischen Gleichheitsprinzip, sondern auch in der Ähnlichkeitsanwendung. Für die Praxis bedeutet dies, dass ein reines Phytotherapeutikum in beispielsweise Teedarreichung besser zur Wirkung kommt in der Kombination mit einem indikationsgleichen Spagyrikum.
Die Pharmafirma PEKANA bietet in ihrer Spagyrik nach Beyersdorff die spagyrischen Präparationen teilweise mit der passenden Teekombination an. So wird beispielsweise bei Harnwegsinfekten „Akutur spag.“ in der Verknüpfung mit dem „Medizinaltee Akutur N“ angewendet. Substitution, Information, Einschleusungsprinzip und Synergismus sind hier miteinander verbunden.
Für das Beispiel „Sexualität im Klimakterium“ käme folgende Kombination in Frage :
Rp.
Alchemillae vulg. herb. – D.S. 3×1 Tasse tgl. pro Tasse 1 Tl. als 4 min. Abkochung vor den Mahlzeiten |
100.0 |
Klifem spag. Pekana – D.S. 3×20 Tr. vor den Mahlzeiten in Frauenmanteltee | 100.0 |
Nuphar lutum O Agnus castus O Lilium album O – D.S. morgens und abends je 20 Tr. in Frauenmanteltee |
aa ad 60.0 |
Die Klientin trinkt täglich 3 Tassen Frauenmanteltee als Kurzzeitdekokt mit 20 Tr. Klifem spag. Pekana. Die Tagesration Tee kann in einer Thermoskanne aufbewahrt werden. Des Morgens und des Abends kommen jeweils noch 20 Tropfen der Urtinkturmischung dazu. An Stelle der Urtinktur kommt auch eine D1 in Frage.
Frauen, welche sich zwar nach Wärme und Kameradschaft eines Mannes sehnen, aber kein Verlangen nach Geschlechtsverkehr haben, sollten sogenannte „Entblockeröle“ aus der Aromatherapie anwenden. Da nur knapp ein Dutzend ätherischen Öle in Deutschland als Medikamente eingestuft sind, sollten nur reine Marktöle angewendet werden. Diese bietet unter anderem die Firmen Primavera und Neumond an.
Nachfolgend eine Bade- und Massagemischung:
Rp.
- Zimt: I gtt.
- Ylang-Ylang: II gtt.
- Kümmel: I gtt.
- mit etwas Sahne emulgieren und in das Vollbad geben
Rp.
- Bohnenkraut: II gtt.
- Ingwer: V gtt.
- Ylang-Ylang: IV gtt.
- Muskatellersalbei: IV gtt.
- Basisöl: 100.0
- täglich vom Partner einmassieren lassen
- im LWS- und Sakralbereich
Entblockeröle haben eine steigernde Wirkung. Wichtig ist, das der Duft von der zu Behandelnden als positiv empfunden wird. Als allgemeine Richtlinie sollte bei täglicher Anwendung nach ca. 14 Tagen eine subtile Veränderung eintreten.
Direkt vor dem Geschlechtsverkehr als Massage im unteren Bereich des Rückens kommen bei der Frau folgende zwei Ölmischungen als „Aprés-l’amour“ in Frage:
Rp.
- Ylang-Ylang: I gtt.
- Tonkabohne: I gtt.
- Orange: II gtt.
- Basisöl: I Eßl.
Rp.
- Jasmin: I gtt.
- Palmarosa: I gtt.
- Weihrauch: I gtt.
- Basisöl: I Eßl.
Hier gehen sexuelles Vorspiel und Therapie in einander über. Wichtig ist immer das langsame Herantasten. Erzwingen ist immer negativ. Höhere Dosen bringen keinen schnelleren „Erfolg“ (das Wort ist für dieses Thema schon unpassend), sondern eher Hautreizungen.
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr durch Vaginaltrockenheit geben fast die Hälfte aller Frauen in den Wechseljahren an. Die Symptome sind oft verbunden mit Pruritus, Dysparenturie, Vaginalentzündungen bis hin zur Vaginalstenosen.Im Soja sind Phytoöstrogene gefunden worden, welche eine signifikante Steigerung der Hydralation, des Sekretvolumens und der Wiederherstellung sowie Elastizität des Epithels herbeiführen können. Teilweise werden diese Präparationen oral oder als Vaginalgel verabreicht. Eine feuchtigkeitsspendende und gleitfähigkeitsfördernde Wirkung wird schon nach drei äußeren Anwendungen angegeben.
Sexualität begleitet uns das ganze Leben. Kinder besitzen sexuelle Gefühle, welche sich sicherlich von denen der Erwachsenen unterscheiden und mit der Pubertät in eine andere Dimension übergehen. Auch in den Wechseljahren und im Postklimax erreicht der Sex einen anderen Stellenwert und erfährt im Greisenalter wiederum eine Neugestaltung. Wichtig ist, dass diese Phänomene als physiologisch angesehen werden. Aufgabe des naturheilkundlichen Therapeuten ist es, diese Veränderungen auf körperlicher und seelischer Ebene zu unterstützen und annehmbar zu machen.
Peter Germann